WG111 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, zwischen Dienstag, 13. und Samstag, 17. Dezember 1910

Es gehört von beiden Seiten
viel Logik, Lebenserfahrung
u Herzenswärme dazu um
auf die Dauer die gegenseitigen
Eigenschaften zu würdigen,
ohne durch die Fehler zu ver-
letzen u \sich/ verletzt zu fühlen.

______
jap.[anische] Lyrik,

________
Ich glaube an die Dauer Deiner Liebe
aber ich will sie auch ha fühlen,
will etwas wenigstens von Dir haben,
mir genügt nicht das Wissen allein.
[Skizze eines Rasters] Innere will auch eine Betä-
tigung Deiner Liebe.

Dein langes Schweigen (13 Tage)

traf mich jetzt recht schwer, denn
hier ist traurige Stimmung
alles liegt in einer epidemisch
auftretenden, jähen Influenza.
Ich Mein ist sehr elend
darum – Das Herz ist nicht –
gut – gestern morgen wurde
ich hin alarmiert. Es geht aber
wieder besser. liegt
auch, ich hoffe es überzukriegen,
da ich gleich ins Dampfbad fuhr

wie das Fieber kam

Meine goldne Schale
Anarchistin

 Hast Du etwas anver-
traut

 Du gewöhnst Dich langsam an
die Trennung und wirst heiter,
ich leide täglich größere Qual
keine H und schleppe meine
Tage hin. Es wird mir viel
schwerer als ich gefürchtet hatte ----
wann kommst Du? bald?

Idealismus verträgt sich schlecht
mit Pessimismus

 Es ist merkwürdig, daß
Du mir die liebevollsten Briefe
immer schreibst wenn Du nicht
wohl bist u im Bett liegst.
Ist es die jedesmalige Erinnerung
an die ersten Toblacher Tage?

 Nimmst schon wieder zu vieles
vor. \Leibarzt/ soll strenger sein

 Mir nicht lieb, daß p.[oste] r.[estante]
weiß, das wird uns manches erschweren
aber ich muß Dich da handeln lassen.


Apparat

Überlieferung

, , , .

Quellenbeschreibung

2 Bl. (2 b. S.) – Notizblock.

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Antwort auf AM49 vom 30. November und 3. Dezember 1910 (Ich bin Anarchist durch und durch): Anarchistin.

Datierung

Der Brief AMs, auf den WG in diesem Entwurf antwortete, wurde am 30. November 1910 begonnen, am 3. Dezember weitergeführt und am 5. Dezember in New York abgestempelt. Bei einer Postlaufzeit von 8 bis 13 Tagen müsste AM49 demnach zwischen dem 13. und dem 18. Dezember bei WG eingegangen sein. Für diesen Zeitraum ist auf WGs Liste abgesendeter Briefe (WG92) am 17. Dezember die Nr. 14 notiert, der 15. Brief wurde erst am 22. Dezember abgesendet. Als Datierung für den vorliegenden Entwurf kommt daher der 13. Dezember bis 17. Dezember 1910 in Frage.

Übertragung/Mitarbeit


(Tim Reichert)


A

Rückertlieder“ (1901 und 1902). Vgl. auch seinen Liederzyklus (1901–1904), der ebenfalls auf Gedichte zurückgreift.

B

Dein langes Schweigen – Zwischen dem Schreibdatum von AM48 (23. November 1910) und dem Absendedatum von AM49 (5. Dezember 1910) lagen 13 Tage.

C

Dampfbad ging wohl häufiger in die Dampfsauna, s. WG101 vom 10. und 11. November 1910: Schwitzkasten.

D

goldne Schale – s. AM49 vom 30. November und 3. Dezember 1910: Meiner – verschenke nichts von all dem Deinen – ich will die goldene Schale sein – in die Du die Quintessenz Deines Seins gießen \sollst!/.

E

die ersten Toblacher Tage und Hoffnung auf ein gemeinsames Kind nach der gemeinsamen Zeit in Tobelbad hatte sich nach Abreise nach Toblach mit dem Einsetzen ihrer Menstruation als nicht haltbar erwiesen, s. AM2 vom 16. Juli 1910.

F

daß G.[ustav] p.[oste] r.[estante] weiß – Gemeint ist die Korrespondenz zwischen und , s. AM49 vom 3. Dezember 1910: Manchmal fragt er, ob Du schreibst, und weiß nun, dass es p.[oste] r.[estante] ist, was mir sehr lieb ist, da es um eine Lüge weniger ist.